7 - Sex, Drugs, Abschiebung. Arabische Jungs in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur [ID:7178]
50 von 896 angezeigt

Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Ich möchte diesen Vortrag mit einer Vorwarnung und einer Entschuldigung beginnen. Erstens die

Vorwarnung. Wir betreten heute gemeinsam dünnes Eis, sehr dünnes Eis sogar, das dadurch

gekennzeichnet ist, dass es nicht sehr tragfähig ist und sich unter der Oberfläche Strömungen und

Untiefen verbergen, die kalt, dunkel und ideologisch zum Teil abgründig sind. Aufgrund dessen ist ein

buchstäblich vorsichtiges Vorgehen geboten, um nicht die analytisch-deskriptive Beobachterposition

zu verlassen und selbst einzubrechen, was mich zu zweitens der Entschuldigung führt. Auch wenn er

sich noch so sehr dagegen wehrt und es zu vermeiden sucht, läuft auch dieser Vortrag aufgrund des

Facettenreichtums und der Komplexität des Themas Gefahr, auch selbst nicht völlig ohne Klischees,

Kategorisierungen und Simplifizierungen auszukommen, von denen der Diskurs um Parallelgesellschaften

hierzulande geprägt ist. Deswegen habe ich auch bewusst so einen ziemlich plakativen Vortragstitel

gewählt. Dennoch hoffe ich inmitten der so häufig polemischen und schwarz-weiß verfahrenen Debatte

in den nächsten gut 60 Minuten einige graue Schattierungen aufzeigen zu können. Für das

Einebenen einerseits, wie für das Konturieren dieser Schattierungen andererseits, ist dabei

jeweils ein und dieselbe Kulturtechnik verantwortlich, die Kulturtechnik des Erzählens nämlich, zu deren

vielfältigen Aufgaben seit jeher die Konstruktion von Identitäten ebenso wie auch von Alteritäten

zählt. Der Entwurf von Zugehörigkeit ebenso wie von Abgrenzung und Distanzierung, das Hörbarmachen

ebenso wie das Verschweigen von Stimmen. Der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke

schreibt dazu in seiner Erzähltheoretischen Studie Wahrheit und Erfindung. Insofern das

Erzählen Welt aufschließt und Wissen vermittelt oder abwehrt, erfüllt es eine kognitive und

epistemische Funktion. Darüber hinaus ist es in ein kommunikatives Fluidum eingebettet,

innerhalb dessen es Affekte bindet bzw. freisetzt. Dabei mag es um Angst Bewältigung einerseits,

um weiche Sanktionierung von potentiell sozial schädlichem Verhalten und damit Angst Erzeugung

andererseits gehen, um die Formung bzw. Instrumentalisierung von Aggressionen oder

um die Modellierung von Gruppenzugehörigkeit. Durch Erzählungen wird ein Bild des eigenen

und des Fremden generiert, das kollektive Energien auf sich zieht und so den Mechanismus

einer Selbstrealisation in Gang setzen kann. Es sind gerade die erzählerischen Techniken,

die eine solche Verdichtung der Energien bewirken. Durch Komprimierung sozialer

Verhandlungsmasse in bestimmten Erzählkernen, die eine unerschöpfliche Quelle der Irritation

und Faszination bleiben und nicht zuletzt durch den Einbau von Sub- und Gegen-Narrativen,

die auch Minoritäten und unterlegenen Parteien Teilhabe an der kollektiven Überlieferung und

der durch sie gestifteten Gemeinschaftlichkeit sichert. All diese unterschiedlichen Funktionen,

die kognitive, die epistemische und die affektive, sind bei unserem heutigen Thema in unterschiedlichen

Erzählungen in unterschiedlichster Couleur anzutreffen. Dies liegt vor allem darin begründet,

dass kaum eine tagespolitisch aktuelle Entwicklung im literarischen, wissenschaftlichen und medialen

Diskurs in Deutschland derzeit solch einen Widerhall findet, wie die vielfältigen Erzählungen

rund um das Konzept der Parallelgesellschaft. Von A wie Anne Will bis Z wie die Zeit beherrscht

die Berichterstattung um die Sorge bezüglich der Bildung von Parallelgesellschaften und die Art

und Weise, wie diese Entwicklung gesellschaftlich wie politisch begegnet werden kann, die mediale

Landschaft. Dabei ist dieses Thema gar nicht so neu, denn wie wir im Rahmen dieser Ringvorlesung

bereits gehört haben, stammt der Begriff der Parallelgesellschaft, der von dem Bielefelder

Soziologen Wilhelm Heidmeier, allerdings unter Verwendung von Anführungszeichen, die ich heute

auch immer implizit mitdenke, ähnlich wie du letzte Woche, geprägt wurde. Also der Begriff wurde bereits

in den 1990er Jahren geprägt und geistert seither in unterschiedlichsten Spielarten durch den

Diskurs. Von türkisch-muslimischen Jugendlichen über Cyberkriminelle, die das Internet bevölkern,

bis hin zu wohlhabenden deutschen Eliten, die einen Klassenkampf von oben führen, wurde schon

jede dieser gesellschaftlichen Gruppen als Parallelgesellschaft bezeichnet. Insbesondere

in den beiden vergangenen Jahren jedoch hat die Debatte um die Bildung von Parallelgesellschaften

eine dramatische Reaktualisierung und Aufladung erfahren, indem durch die katastrophischen

Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart und der damit einhergehenden weltweiten

Presenters

Dr. Agnes Bidmon Dr. Agnes Bidmon

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

01:33:18 Min

Aufnahmedatum

2016-12-20

Hochgeladen am

2016-12-21 14:22:30

Sprache

de-DE

Tags

Integration Parallelgesellschaft Jugendliche arabische
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen